Freitag, 23. März 2012

Der "fehlende Zins" und das Sparen

Oft wird unter Geldsystemkritikern auch "vom fehlenden Zins" gesprochen, weshalb es für einige Kreditnehmer im Gesamtsystem unmöglich sei, ihren Darlehensbetrag plus Zinsen zurückzuzahlen und somit der Zahlungsausfall von Schuldnern (und die Vernichtung von Geldvermögen) systembedingt und geradezu vorprogrammiert sei. Aus diesem Grund müsse der fehlende Zins durch wiederholte Neuverschuldung ausgeglichen werden, damit das System nicht in sich zusammenbricht. Welche Rolle spielen der fehlende Zins und das Sparen bei dem "Zwang zur Neuverschuldung"? Wir werden das im Folgenden für die gegenwärtige Fiat-Money-Geldordnung untersuchen.
Bei einem freien Marktgeld, welches Nettoguthaben wäre (also nicht per Kredit durch eine entsprechende Geldschuld in Umlauf käme) entsteht dieses "Problem" erst gar nicht.

Ich möchte vorwegschicken, dass es sich bei folgender Untersuchung um diverse mögliche Momentaufnahmen im derzeitigen Geldsystem handelt, welche in dieser Form in der (Mainstream-)Zinskritik bisher nicht beleuchtet wurden. Diese Untersuchung hat nicht den Zweck, ein generelles Systemproblem (von vielen) zu negieren, sondern es genauer unter die Lupe zu nehmen.

Anhänger der Theorie vom fehlenden Zins betrachten in ihrer Argumentation meist einen isolierten Kredit. Man stellt sich ein beispielhaftes Geldsystem vor, in dem z.B. acht Teilnehmer eine Kreditsumme von 1.000 € aufnehmen, diese wird endfällig nach einem Jahr zurückgezahlt und mit 5% verzinst. In dieser "Inselbetrachtung" fehlt am Ende der Laufzeit des Kredits der aufzubringende Zins im System:

© Axel Grimm


Gleiches gilt auch für das Gedankenmodell, wenn man Einzelkredite betrachtet, die zeitversetzt, nacheinander liegen. Hier hat man den Effekt, dass sich der fehlende Kreditzins aufaddiert, denn auch in dieser Vorstellung hat kein Kreditnehmer die Chance seinen Kreditzins aufzubringen:

© Axel Grimm


An der Kernaussage, dass der Zins im Kredit nicht mitgeschöpft wird und theoretisch auch im Gesamtsystem zur vollen Schuldentilgung fehlt besteht überhaupt kein Zweifel! Aber: Es ist dennoch möglich, dass Kredite komplett getilgt werden können, OHNE einem anderen Kreditnehmer Geldmittel zur eigenen Schuldentilgung wegzunehmen (q.e.d).
Die "Inselbetrachtung" bzw. die isolierte Betrachtung von einzelnen Krediten in einem Geldsystem spiegelt nicht die Realität wider. In der Praxis überlagern sich in unserem Geldsystem zigtausende von Krediten die sich unterscheiden in Beginn, Laufzeit und Höhe des Kredites. Diese Überlagerung soll in dem folgenden Bild dargestellt werden:

© Axel Grimm

In blau und lila sind die vorhin beschriebenen Einzelfälle dargestellt, die Anhänger der Theorie des fehlenden Zinses als Argumentation benutzen. Die weißen Striche stellen weitere Kredite dar, die im Geldsystem durch Banken erzeugt werden und bei Endfälligkeit auch mit Zins zurückgezahlt werden müssen.

In der Realität werden die vom Kreditnehmer an die Bank gezahlten Zinsen über das Eigenkapital der Bank wieder zurück in den Wirtschaftskreislauf gebracht und können dort unter anderem auch dazu benutzt werden, wieder als Zinszahlung an eine Bank bezahlt zu werden. So bezahlt zum Beispiel ein Bankangestellter, der einen Immobilienkredit aufgenommen hat, seine Zinsen aus seinen Lohnzahlungen, die aus dem Eigenkapital der Bank kommen. Diese Lohnzahlungen sind aber nichts anderes als die Zinseinnahmen der Bank. Aber auch ein Dividendenempfänger von Bankaktien kann mit der gezahlten Dividende wieder einen Kredit abzahlen, bzw. die Zinsen dafür bezahlen. Ebenso erhält ein beispielhaftes Bauunternehmen - in den Wirtschaftsraum zurückgeführte - Zinseinnahmen der Bank für Bezahlung einer errichteten Bankfiliale.

Diese Rückführung des Zinses wird in der Argumentation
mit dem fehlenden Zins übersehen.

Einleuchtender wird es, wenn man sich nicht eine isolierte Kreditvergabe betrachtet, sondern eine Kaskade von Kreditverträgen unterschiedlicher Laufzeiten, die sich überlagern:

© Axel Grimm


Nehmen wir uns die angezeigten grünen Kredite heraus und betrachten was mit der Geldmenge und - im Laufe der Kreditnahme - mit den Zinszahlungen passiert, die nun, wie in der Realität üblich, zurückgeführt werden:

© Axel Grimm


In hellgrün erkennt man die Geldmenge, die durch die unterschiedlichen Kredite entsteht und vergeht. Nun erkennt man, dass der erste Kreditnehmer seine Kreditzinsen theoretisch aus dem geschöpften Geld des zweiten Kreditnehmers bedienen kann (schwarzer Pfeil nach oben). Diese Zinseinnahmen gibt die Bank zum Beispiel als Lohnzahlungen wieder zurück in den Wirtschaftskreislauf (grauer Pfeil). Nun fehlt dieser Zins nicht mehr im System. Der in rot dargestellte Bereich ist der Zeitraum, in dem der gezahlte Kreditzins im Eigenkapital der Bankbilanz steht, solange bis der Zins zurückgeführt wird.

Auch die hier vorgestellte Betrachtung ist natürlich wieder vereinfacht/isoliert. In Wirklichkeit überlappen sich diese Kreditverträge deutlich enger und zahlreicher. Auch die Rückführung des Zinses über das Eigenkapital der Bank findet in einem ständigen Fluss statt, da die Ausgaben/Ausschüttungen der Bank auch ständig anfallen.

Wir halten fest: Solange es gängige Praxis ist, dass sich unzählige Kredite "überlagern" und Zinseinnahmen der Banken wieder in den "Tauschmittelkreislauf" zurückgeführt werden, solange können fällige Kredittilgungen und Kreditzinsen problemlos gezahlt werden, da für die fälligen Kredite im Geldsystem ausreichend Tauschmittel vorhanden sind.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Angenommen heute müssten ALLE Kredite abgelöst werden, dann wären die Geld- bzw. Tauschmittel zum Leisten der Zinszahlungen im Gesamtsystem nicht vorhanden, da sie im Kredit nicht mitgeschöpft wurden (realistisch ist dieser angenommene Fall allerdings nicht). Problematisch wird es in der täglichen Praxis, wenn Tauschmittel gespart und somit dem Tauschmittelkreislauf entzogen werden. Diese gesparten Tauschmittel fehlen im Gesamtsystem zur Kredittilgung.

In unserer Betrachtung haben wir zudem nur endfällige Kredite betrachtet, um die Komplexität nicht noch weiter zu erhöhen und um uns an die Argumentation des fehlenden Zinses anzupassen. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der übliche Kredit ein Tilgungskredit ist, bei denen die Zins- und Tilgungszahlungen nicht endfällig, sondern z.B. monatlich aufgebracht werden. Somit reduziert sich auch während der Laufzeit des Kredits die Zinszahlung monatlich durch die Tilgung des Kredits:

© Axel Grimm


Wie man dem Tilgungsplan entnehmen kann, reduziert sich die Zinszahlung monatlich bei einem Einzelkredit. Wenn diese Zinszahlung von der Bank direkt in das Geldsystem zurückgeführt wird, dann fehlen am Ende der Laufzeit, selbst in der Einzelbetrachtung eines Kredites von 1.000 € theoretisch nur 0,36 € Zinsen. Die bereits gezahlten Zinsen werden ja wieder in das System zurückgeführt.


Das Sparen im Tauschmittel
Wie im allerersten Artikel dieses Blogs erklärt wird, entsteht Geld durch Kreditaufnahme. Die Wirtschaftsteilnehmer, die einen Kredit aufnehmen, geben dieses Geld in der Wirtschaft aus. Zum Beispiel kaufen sie Rohstoffe, um daraus dann ein Produkt zu erzeugen, dass sie weiterverkaufen können. Das erzeugte Kreditgeld befindet sich so nun im Tauschmittelkreislauf und das Geld tauscht andauernd weiter. Es gibt nun 2 Möglichkeiten, wie dieses Geld den Tauschmittelkreislauf verlassen kann.

Die erste Möglichkeit ist für das Geldsystem ideal. In diesem Fall kreist/tauscht das Tauschmittel solange, bis ein Kreditnehmer, der das Geld durch Leistung in der Wirtschaft erhält, damit seinen Kredit zurückzahlt, also tilgt. In diesem Moment wird bei der Bank sein Geld mit seiner Schuld wieder vernichtet. Das Geld hat in der Zeit seiner Existenz als Tauschmittel funktioniert und hat im besten Fall der Allgemeinheit durch Schaffung von Mehrwert gedient.

Die zweite Möglichkeit, wie Tauschmittel den Wirtschaftskreislauf verlassen können ist das Sparen im Tauschmittel, denn gespartes Geld kauft, solange es gespart ist, nicht mehr in der Wirtschaft ein. Das Geld ist solange es "spart" als Tauschmittel geparkt. Für Kreditnehmer entsteht nun ein Problem, denn sie haben keine Chance an das Geld zu kommen, das sie zum Tilgen ihrer Kredite so dringend bräuchten. Durch Sparen im Tauschmittel entsteht ein Mangel an freien Tauschmitteln in der Wirtschaft und es kommt normalerweise zu einer Reduzierung der Wirtschaftsleistung. Die Folge: Kreditnehmer gehen pleite, es sei denn, durch einen neuen Kreditnehmer wird wieder neues Geld erzeugt, dass das Geld ersetzt, welches durch das Sparen dem Geldsystem entzogen wurde.

Hierdurch entsteht ein Neu-Verschuldungszwang und wenn sich in der Wirtschaft keine Nachschuldner finden lassen, dann springt z.B. der Staat als Lender of last resort ein, damit das System aufrecht erhalten werden kann.


© Wolfgang Waldner & Christoph G. Brandstetter



Fazit
Sowohl das Sparen von Zinseinkommen als auch das Sparen von Beträgen aus anderen Einkommen führt zur Aufschuldung im (gegenwärtigen!) Geldsystem und damit zum Anschwellen der Geld- und Geldvermögensbestände. Dient das Tauschmittel also nicht mehr seinem ursprünglichen Zweck und wird der Wirtschaft durch Sparen entzogen, dann ist das schädlich. Ob Guthabenzinsen dem Geldsystem schaden oder nicht hängt davon ab, ob der Zinsempfänger diesen Zins weiter spart oder konsumiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Sparer den Zins weiterspart ist natürlich viel größer, weil der damit verbundene Leistungsverzicht (das Sparen) vermögenderen Menschen leichter fällt als weniger vermögenden Zinsempfängern.
Die Forderung nach freiem Marktgeld bzw. der Entstaatlichung des Geldes kann daher gar nicht laut genug gefordert werden!


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Besten Dank an Tobias Deiters und Axel Grimm, sowie Wolfgang Waldner und
Christoph G. Brandstetter für Textgrundlage + Grafiken