Dienstag, 19. April 2011

Deutschland profitiert NICHT vom Euro

Deutschland profitiere vom Euro, so die einhellige Meinung deutscher Politiker und Medien.

"Es liegt im wohlverstandenen Eigeninteresse Deutschlands, finanzielle Hilfe zu leisten, um den Prozess der Anpassung in jenen Eurozone-Volkswirtschaften zu erleichtern, die zu viel Geld für deutsche Waren ausgegeben haben" behauptet der Ökonom Adam S. Posen in dem Artikel "Deutschland braucht eine große Eurozone" auf WELT-ONLINE und zählt fünf "gute Gründe" auf, weshalb Deutschland vom Euro profitiert.

"Deutschland profitiert vom Euro" titelte Focus Money bereits im Juni 2005.

In dem Artikel "Der ganz große Preis", veröffentlicht am 27.03.2011 in der WELT AM SONNTAG, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel wie folgt zitiert: "Deutschland profitiert vom Euro. Deutschland profitiert vom Euro wie kaum ein anderes Land. Wir profitieren von der Preisstabilität. Wir profitieren davon, dass wir beim Reisen keine lästigen Umtauschgebühren mehr bezahlen müssen. Die Unternehmen "profitieren" von Exporten in andere Euro-Länder."

Bei näherer Betrachtung ist allerdings das genaue Gegenteil der Fall. Deutschland, also die deutsche Bevölkerung, profitiert nicht vom Euro.

In der Tat profitieren deutsche, exportorientierte Unternehmen von einem - in Relation - geringen Wechselkurs, da er die deutschen Produkte im Euro-Ausland relativ "verbilligt". Ebenso sind etwaige Wechselkursrisiken innerhalb der Eurozone eliminiert, was für die deutschen Unternehmer eine stabilere Kalkulationsbasis für Exporte bzw. Investitionen in bzw. aus dem europäischen Wirtschaftsraum darstellt.

Im Jahr 2010 trugen die Exporte (960 Mrd. €) knapp 38 % zur gesamten deutschen Wirtschaftsleistung (BIP = 2.500 Mrd. €) bei. Die deutsche Exportwirtschaft leistet folglich ohne Zweifel einen bedeutenden Beitrag. Trotzdem bleibt fraglich, ob ein höherer Wechselkurs (wie zu Zeiten der DM) zu nennenswerten Umsatzrückgängen führen würde. Schließlich exportieren deutsche Unternehmen, als Weltmarktführer in den Bereichen High-Tech & Know-How, Produkte und Dienstleistungen auf höchstem Niveau und keine Bananen. Dementsprechend "sicher" sind auch die Arbeitsplätze in deutschen Exportunternehmen.

Den angeblich besonderen Profit der deutschen Exportwirtschaft als "Profit Deutschlands vom Euro" zu verkaufen, so wie es Politiker und Journalisten beinahe täglich kundtun, ist natürlich Unsinn. Deutschland als Exportnation würde mit eigener Währung respektive Geldpolitik Währungsreserven bilden, da - das zeichnet eine Exportnation aus - ein Außenhandelsbilanzüberschuss erzielt wird. Stark vereinfacht (und auf den Handel mit einer Nation beschränkt) ausgedrückt kaufen mehr US-Amerikaner deutsche Produkte und bezahlen diese mit US-Dollars als umgekehrt. Dieser Überschuss an US-Dollars stellt die Währungsreserven dar.
Dies hätte zur Folge, dass der Wechselkurs D-Mark/US-Dollar vergleichsweise hoch und die Kaufkraft der D-Mark folglich höher wäre. Dieses stark vereinfachende Beispiel ist - immer im Hinblick auf die D-Mark - auf jede andere Währung bzw. Nation anwendbar.

Was nun ein im Vergleich hoher Wechselkurs und eine hohe Kaufkraft der D-Mark für die deutsche Bevölkerung bedeuten würde liegt auf der Hand: Beim Kauf aus dem Ausland würde der deutsche Importeur mehr Waren für sein Geld erhalten. Dieses "Mehr" an Waren je Geldeinheit kommt schließlich auch beim Verbraucher an, da dieser nun bspw. im Supermarkt für den Kauf von italienischen Tomaten weniger Geldeinheiten je Ware bezahlen müsste.
Kurz: Der Preis für importierte Waren und Güter sinkt. Davon würden folglich die importierenden Unternehmen, vor allem aber die Verbraucher profitieren. Ebenso wäre die Paella, die Pasta oder das Gyros des deutschen Urlaubers relativ preiswerter.

Die Eurozone hat jedoch eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz, d.h. es werden keine Währungsreserven gebildet. Warum ist das so, wenn doch Deutschland, Niederlande und Finnland einen Überschuss erzielen?
Tip: Schauen sie doch mal auf die Außenhandelsbilanzen der europäischen Südstaaten...


Fazit: Die am Export verdienenden deutschen Unternehmen profitieren, wenn überhaupt, in ganz geringem Maße vom Euro. Alle anderen Marktteilnehmer, vor allem aber die deutschen Bundesbürger, verschenken zugunsten der schwächeren Euro-Mitgliedsstaaten mit Außenhandelsbilanzdefiziten (Import > Export) große Teile ihres Wohlstands.


UPDATE 09.09.11:
Im folgenden TV-Beitrag des heute journals mit dem Titel "Wie profitiert Deutschland vom Euro?", den das ZDF jetzt auf dem eigenen YouTube-Kanal online gestellt hat, wird die Frage nach dem Profit Deutschlands kritisch hinterfragt.