Die Österreichische Schule der Nationalökonomie hat Ihre Anfänge im späten 19. Jahrhundert und ist eine sich fundamental unterscheidende, jedoch weniger beachtete wirtschaftswissenschaftliche Schule im Vergleich zu den heute etablierten Mainstream-Wirtschaftswissenschaften neoklassischer und keynesianischer Prägung.
Die Österreichische Schule betont die Würde und Pflichten des Individuums. Die Würde unabhängiger Personen, die kraft ihrer jeweiligen Fähigkeiten durch den Drang das eigene Leben zu bestreiten, Güter für Andere produzieren. Die Pflicht, dabei das Eigentum, die Fähigkeiten und die Würde aller anderen zu respektieren und nie darauf aus zu sein, sich mit Zwang zu Lasten dieser zu bereichern. Die Pflicht, sein Leben durch einen ehrlichen Handel, welcher auf freiwilligen Entscheidungen beruht, zu bestreiten.
"Durch Kunstgriffe der Bank- und Währungspolitik kann man nur vorübergehende Scheinbesserung erzielen, die dann zu umso schwererer Katastrophe führen muss. Denn der Schaden, der durch Anwendung solcher Mittel dem Volkswohlstand zugefügt wird, ist umso größer, je länger es gelungen ist, die Scheinblüte durch Schaffung zusätzlicher Kredite vorzutäuschen."
Verzeichnis
Einleitung
Carl Menger
Die Wertlehre
Böhm-Bawerk und Wieser
Sparen statt Konsum
Ludwig von Mises
Geld- und Konjunkturtheorie
Friedrich A. von Hayek
Vom Mainstream zum Nischenprogramm
Die Freiburger Schule
Die Essenz
Ökonomie als Sozialwissenschaft
Video: Vortrag zur Österreichischen Schule und ihrer Protagonisten
von Ralf Flierl, Chefredakteur des Smart Investor
Nur wenige können heute mit der
„[Österreichischen oder] Wiener Schule der Ökonomie“ noch etwas anfangen. Als tragische Ironie der
Geschichte am allerwenigsten die Wiener selbst. Von den wenigen, die diese
ökonomische Tradition kennen, betrachten sie die meisten aus bloß historischem
Interesse. Als Wiener darf man ein wenig stolz sein auf jene einst führenden
Ökonomen, doch die bleibende Bedeutung scheint sich in Fußnoten zu erschöpfen.
Klicken Sie hier, um zur gesamten Playlist zu gelangen.
Warum und inwiefern sollte eine
historische Gruppierung von Wissenschaftlern heute überhaupt noch relevant sein? Die
gängige Auffassung von Wissenschaft lässt hierzu keinen Platz: Sie geht davon
aus, dass es einen langfristig linearen wissenschaftlichen Fortschritt gibt,
dass aus historisch zufälligen Ansätzen, Ideen, Irrtümern, Versuchen die Erkenntnis
reift, am Ende das Richtige über das Falsche triumphiert, und auch der
originellste Denker seinen Platz als Fußnote im magnum opus der
Wissenschaftsgemeinde zugewiesen bekommt – und wenn nicht, so mag er wohl
originell gewesen sein, aber letztlich doch bedeutungslos. Eine knappe historische Übersicht
über jene Wiener Ökonomen soll dieses Wissenschaftsbild durch eine gewichtige
Ausnahme in Frage stellen und schließlich die bleibende Bedeutung dieser
Tradition aufzeigen.
Warum „Wiener Schule“? Oft ist auch
von der „Österreichischen Schule“ die Rede, doch ist dies irreführend: Das alte
Österreich besteht nicht mehr und das neue hat rein gar nichts mehr mit dem
historischen Umfeld jener ökonomischen Tradition zu tun. Aus allen Ecken der
Donaumonarchie kamen einst die größten Denker in Wien zusammen, dem damaligen
Zentrum eines unglaublich vielfältigen und geschichtsträchtigen Kulturraumes,
von dem nur noch die Fassaden geblieben sind. Kaum einer jener Ökonomen wäre
heute „Österreicher“, noch wäre es im Österreich von heute überhaupt denkbar,
dass eine solche Schule entstünde oder fortbestünde. Das Wien von heute würden
die damals hier wirkenden zumindest wiedererkennen, und der Ort ihres Wirkens
ist schließlich auch ihre wesentliche Gemeinsamkeit.
Carl Menger
Der Begründer der Wiener Schule, Carl Menger wurde 1840 im
galizischen Neu-Sandez (heute in Polen) als Edler von Wolfesgrün geboren. In
Wien gründete er nach journalistischer und literarischer Tätigkeit das Wiener
Tagblatt und arbeitete schließlich für die Wiener Zeitung, jenes staatliche
Organ, das bis heute überlebt hat. 1871 wurden seine Grundsätze der
Volkswirthschaftslehre erstmals veröffentlicht und stellen das
Gründungsdokument der Wiener Schule dar – eine veritable Revolution in der
Ökonomie. Was war so revolutionär an
Mengers Zugang, dass er schulbildend wurde – und was bleibt? Seine Grundsätze
beginnen mit dem starken Satz: „Alle Dinge stehen unter dem Gesetze von Ursache
und Wirkung.“ Dieser Satz steht paradigmatisch für Mengers kausalrealistischen
Zugang. Als Journalist hatte er ökonomische Phänomene in der Realität
beobachtet und ihm war aufgefallen, dass die bestehende Theorie nicht ausreichte, um
diese zu erklären. Insbesondere die Preis- und Werttheorie war mangelhaft.
Die
Bodenständigkeit des Journalisten und vermutlich seine aristotelische Prägung
ließen Menger die Ökonomie wieder auf eine realistische Grundlage führen.
Ebendiese Grundlage erkannte er in den menschlichen Handlungen. Objektive
Marktphänomene wie die Ausbildung von Preisen waren kausal aus den subjektiven
Wertungen der Marktakteure zu erklären. Dies scheint nahelegend, doch ist es
nicht. Die deutsche Ökonomie war damals stark durch hegelianisches Denken
geprägt, was letztlich im „Historismus“ zur Leugnung jeder ökonomischen Gesetzmäßigkeit
führte.
Die klassische, angelsächsische Ökonomie hingegen mit ihrer empirisch-
calvinistischen Prägung suchte die Grundlagen in Aggregaten und „objektiv“
messbaren Größen wie Arbeitszeit und Kosten. Heute wiederum dominiert der
Relativismus und Konstruktivismus das Denken, was eigentlich gar keinen Platz
für Erkenntnis mehr lässt. Mengers Wirken fiel nicht
zufällig mit dem Aufkommen der Phänomenologie in der Philosophie zusammen; auch
dieser von Edmund Husserl, einem Schüler von Franz Brentano, welcher manchen auch als
Vorläufer Carl Mengers gilt, geprägte Zugang zeichnet sich durch eine Neuorientierung an der
Realität aus – in einer Zeit, in der diese Realität als unbequemes Korrektiv
eines idealistisch-utopischen
Zeitgeistes aus der Mode gekommen
war.
Die Wertlehre
Zunächst nimmt sich Menger kaum
als Revolutionär wahr, will er doch bloß die Lücken der klassischen Ökonomie
nach Adam Smith und David Ricardo stopfen. Das Wertproblems harrte noch einer Lösung: Ließe es sich
mittels einer einheitlichen Theorie erklären, warum etwas so Nützliches wie
Wasser einen so geringen Tauschwert und etwas so Unnützes wie Diamanten einen
so hohen hat? Eine einheitliche Wert- und
Preistheorie würde wiederum einen theoretischen Ordnungsrahmen für ein
besseres, d.h. realistischeres Verständnis der Geschichte anbieten und wäre
damit auch dem damals in deutschen Landen dominante Historizismus dienlich
gewesen. So widmete Menger sein Hauptwerk auch Wilhelm Roscher, dem ehrwürdigen
Begründer der Historischen Schule. Ein tiefgehendes theoretisches Verständnis sollte
es schließlich erlauben, besser zu verstehen, woher Wohlstand kommt und was zu
höherem Wohlstand führt. Menger formulierte diese Problemstellung mit der Frage
nach den „Ursachen der fortschreitenden Wohlfahrt des Menschen“.
Diese Formulierung erinnert an
Adam Smiths berühmte Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, doch
unterscheidet sich in zwei wichtigen Punkten davon, die kaum Zufall sind:
Erstens nimmt Menger den einzelnen Menschen zum Ausgangspunkt seiner
Überlegungen. An die Stelle der merkantilistischen Perspektive auf die „Volkswirtschaft“ oder
„Nationalökonomie“, die so dominant
war, dass sie die Begriffe
prägte, die auch die Vertreter der Wiener Schule aufgrund deren Geläufigkeit
nutzten, tritt ein humaner Zugang, der sich am persönlichen Handeln und den
persönlichen Zielen der Menschen orientiert. Deren Verschiedenheit geht nicht
in Kollektivgrößen unter, sondern stellt den Ausgangspunkt des Verständnisses
dar. Zweitens drückt „fortschreitende Wohlfahrt“ im Gegensatz zum „Wohlstand“
sehr deutlich die dynamische Perspektive aus.
Mengers Ansetzen bei menschlichen
Zielen wird meist als „Subjektivismus“ bezeichnet, die eigentliche Bedeutung
liegt dabei in der Beachtung des freien Willens der Menschen. Hätten wir keinen
freien Willen, wären unsere Handlungen stets aus der Vergangenheit
determiniert: Vergangenes würde Gegenwärtiges bestimmen. Dann könnten wir die
Produktion rein aus dem erklären, was gegeben ist; mein produktiver Akt ließe sich dann
über meine Kindheit, meine Umwelt, meinen Leib erklären. Damit gäbe es aber
weder Verantwortung, noch Freiheit. Mittels einer sehr genauen Analyse, wie
subjektive Entscheidungen zur Bewertung eines konkreten Gutes führen, konnte
Carl Menger das Wertparadoxon lösen. Wert ist keine objektive, den Dingen
eigene Sache, sondern das Ergebnis eines subjektiven Wertungsaktes. Wir werten
durch unser Handeln allerdings niemals abstrakte Güterklassen im Ganzen („das
Wasser“ oder „die Diamanten“), sondern stets konkrete Gütereinheiten. Das
konkrete Glas Wasser, das wir wählen, ist immer das letzte, das wir zusätzlich
wählen, oder das erste, das wir aufgeben.
Dieser Gedanke, dass Handlungen stets
„an der Grenze“ stattfinden, nennt man Marginalismus – zusammen mit dem
Subjektivismus löst dieser Zugang das Wertparadoxon auf. Dies ist von großer Bedeutung,
denn so lassen sich zahlreiche Irrtümer der klassischen Ökonomie, auf der
beispielsweise auch das Denken von Karl Marx beruht, auflösen. Das menschliche
Subjekt als Ausgangspunkt der Ökonomie wiederum begründet eine
personale, humane Wissenschaft, die ein realistisches Menschenbild zulassen würde.
Beginnend mit Menger ist so die Ökonomie der Wiener Schule stets
Sozialwissenschaft. Menger hat ein ungewöhnlich breites Verständnis von
Ökonomie und ist weit entfernt vom heute gängigen, reduzierenden Ökonomismus.
Eigentlich wollte er als Ergänzung ein Werk über die Grundsätze der Soziologie
publizieren, doch kam er nicht mehr dazu. Mengers Bibliothek zählte so mehr als
1.000 ethnologische Titel. Sein Verständnis von gesellschaftlichen Institutionen ist ebenfalls
wegweisend: Er prägt die Theorie der „spontanen Ordnung“, und vermag es so, das
Entstehen der wichtigsten Institutionen zu erklären.
Mengers ökonomischer Zugang ist
auch und gerade für heutige Verhältnisse noch revolutionär: Bei ihm spielen
Wissen, Ungewissheit und Zeit zentrale Rollen. Seine dynamische Perspektive geht
von einem Marktprozess aus, nicht von stationären Zuständen. Auch für die Unternehmertheorie,
jenen von der klassischen Ökonomie absurderweise meist
stiefmütterlich behandelten Themenbereich, lieferte er wesentliche Anregungen.
In seiner Erklärung des Unternehmers skizzierte Menger zwei wesentliche
Aspekte, die schließlich von seinen Nachfolgern weiterentwickelt werden
sollten. Kurz können wir diese zwei Aspekte der Unternehmerfunktion als
„Wissen“ und „Willen“ zusammenfassen. Der Unternehmer benötigt, trägt und
schafft ein ganz spezifisches Wissen, und ihm obliegt die Entscheidung über den
Produktionsprozess, die aufgrund ihrer Irreversibilität und Ungewissheit einen
besonderen Willensakt persönlicher Verantwortung erfordert. Leider ist sein
schriftliches Werk nicht besonders umfangreich geraten, doch der Grund dafür
ist ein günstiger: Menger widmete sich vorwiegend der Begründung einer Schule,
als hochbegabter und -geschätzter Lehrer brachte er unzählige Schüler hervor.
So wirkte er an 17 Habilitationen mit.
Böhm-Bawerk
und Wieser
Seine unmittelbaren Nachfolger
waren die Studienkollegen und Freunde Eugen von Böhm-Bawerk und Friedrich von
Wieser. Eugen Böhm Ritter von Bawerk wurde 1851 im mährischen Brünn
(heute in Tschechien) geboren. Sein didaktisches Geschick stand dem seines
Lehrers in nichts nach, seine Werke sind aufgrund der geistreichen Beispiele
und der klaren Sprache noch heute besonders lesbar, was man von anderen
ökonomischen Werken der Zeit kaum behaupten kann. Besonderes Verdienst erwarb
er sich um die Weiterentwicklung der Kapital- und Zinstheorie, der jedoch Carl Menger zu Recht
sehr kritisch gegenüberstand, da Böhm-Bawerk zu einer gewissen abstrakten
Künstlichkeit tendiert, die teilweise der heutigen Neoklassik ähnelt.
In seiner berühmten Schrift von
1896, Zum Abschluß des Marxschen Systems, legte Böhm- Bawerk eine
eloquente Widerlegung des Marxismus vor, insbesondere von dessen absurder,
wenngleich auf der klassischen Ökonomie beruhender Arbeitswerttheorie. Friedrich
Freiherr von Wieser, auch 1851 geboren, galt ebenfalls als hervorragender Lehrer, formulierte Mengers Wertlehre aus und prägte
wesentliche Begriffe. So führte
er den Begriff „Grenznutzen“ in die Ökonomie ein und entwickelte er das Konzept
der Opportunitätskosten, dessen Bedeutung kaum überschätzt werden kann.
Opportunitätskosten sind als entgangener Nutzen in der Regel „unsichtbar“ und
liegen zahlreichen, bis heute dominanten Täuschungen der Politik zu Grunde,
z.B. überall dort, wo „Umwegrentabilitäten“ von „Ökonomen“ im Staatsdienst
berechnet werden – nach Frédéric Bastiat als „Irrtum vom zerbrochenen Fenster“
bekannt.
Sparen statt
Konsum
Böhm-Bawerk prägte eine Essenz
der Wiener Schule in beispielhafter Klarheit: Die Bedeutung des Kapitals.
Darunter ist keine ideologische Voreingenommenheit gegenüber einer angeblichen
„Klasse“ zu verstehen, sondern eine tiefgehende Betrachtung des
Produktionsprozesses, die diesen gewissermaßen vom Kopf auf die Füße stellt.
Bis heute ist es eine beliebte Vorstellung, dass sich Wohlstand durch Konsum
schaffen ließe. Eine solche Welt käme all jenen, die Verantwortung und Anstrengung scheuen, sowie den
Machthabern sehr entgegen, denn letztere könnten dann durch bloße
„Umverteilung“ per Zwang „Nachfrage“ schaffen. Doch das konsumieren, das
Einkaufen, das Besetzen eines „Arbeitsplatzes“ sind keine Selbstzwecke. Es
handelt sich allenfalls um Mittel, um unseren Zielen näher zu kommen – und
dieses Näherkommen bezeichnet höherer Wohlstand.
Wie Böhm-Bawerk zeigte, gibt es hierbei
allerdings keine magischen Abkürzungen, unseren Zielen können wir nur auf
Umwegen näher kommen. Diese Umwege sind aber nur scheinbare Umwege, wir
erbringen das Scheinopfer eines vorübergehend niedrigeren Konsums und bauen
Kapital auf, das uns letztlich den „Konsum“, d.h. das Erreichen höherer Ziele
bei geringeren Opfern ermöglicht. Hier, wie an vielen anderen Stellen, ist es Aufgabe
einer realistischen Ökonomie, die Weisheit des Hausverstandes gegen den
ausgefeilten Unsinn von Ideologen argumentativ zu verteidigen.
Höherer
Wohlstand ist nur durch Arbeit, investives Sparen und Kapitalbildung
erreichbar, nicht durch Konsum oder Umverteilung. Durch ihre subjektivistische Perspektive
ermöglicht die Wiener Schule dabei stets eine weitere, realistischere
Definition der Begriffe. „Kapital“ und „Produktion“ müssen nicht eng
materialistisch verstanden werden, „Wohlstand“ nicht bloß monetär oder
utilitaristisch – auch wenn dies wohl die meisten Ökonomen der Wiener Schule
als Kinder ihrer Zeit so taten.
Ludwig von
Mises
Der bedeutendste Schüler
Böhm-Bawerks sollte Ludwig von Mises werden. Ludwig Heinrich Edler
von Mises wurde 1881 im galizischen Lemberg (heute in der Ukraine) geboren.
Historische Bedeutung erlangte er in der sogenannten Kalkulationsdebatte, in
der er die Unmöglichkeit einer Wirtschaftsrechnung im Sozialismus zeigte. Dafür
schlug der Sozialist Oscar Lange augenzwinkernd vor, ihm eine Statue in jedem
Ministerium für Zentralplanung zu errichten.
Mises zeigte auf, dass eine
Wirtschaft, in der die Akteure nicht rechnen können, zu massiven Fehlallokationen führen muss. Darunter versteht er allerdings nicht bloße
Abweichungen von irgendeinem fiktiven Gleichgewichtspunkt höchster Effizienz,
sondern die Unmöglichkeit, die Produktion an den Präferenzen der Menschen
auszurichten. Denn diese Präferenzen können nur in den freien Handlungen
verantwortlicher Akteure sichtbar werden und sich durch erfolgte Wahl- und
Tauschhandlungen in Preisen manifestieren. Die Bedeutung von Preisen liegt
dabei keinesfalls in der bloßen Ausweisung von Zahlenbeträgen. Ein frei
gebildeter Preis ist die Dokumentation von Entscheidungen seitens der für
knappe Ressourcen verantwortlichen Menschen.
Über das marktgängigste Gut, Geld,
können diese vergangenen Entscheidungen in einheitlicher Form dokumentiert und
damit zur Rechnungsgrundlage werden. Die Geschichte gab Mises recht,
doch seinerzeit war dies alles andere als eindeutig: Versprach der Sozialismus
doch einst nicht nur eine gerechtere, sondern vor allem auch eine effizientere
Form des Wirtschaftens.
Ludwig von Mises stand hoch oben auf der Liste der
Feinde des national-sozialistischen Regimes. Noch am Vorabend des Anschlusses
wurde seine Bibliothek ausgeräumt und beschlagnahmt. Offenbar planten die
National-Sozialisten, Margit, zum damaligen Zeitpunkt die Verlobte von Mises,
als Geisel festzuhalten, um den bereits nach Genf ausgewanderten Mises zur
Rückkehr zu bewegen – und so einen schwergewichtigen intellektuellen Gegner endgültig auszuschalten. Zum
Glück gelang Margit von Mises rechtzeitig die Flucht. Es ist eine bittere
Ironie der Geschichte, dass Mises‘ enteignete Bücher erst vor kurzem in Moskau
auftauchten; die Sowjetunion hatte sie unter ihre Kontrolle gebracht und so
blieben sie derart lange unter Verschluss.
Geld- und
Konjunkturtheorie
Bleibenden Ruhm errang Ludwig von
Mises als Geld- und Konjunkturtheoretiker. Schon Carl Menger hatte an die alte,
bereits fast vergessene Geldtheorie angeknüpft, die Geld nicht als Erfindung
und Verordnung der Machthaber interpretierte, sondern als soziales Phänomen.
Das tiefere Verständnis der Entstehung und Funktion des Geldes erlaubt so eine
scharfe Kritik der Manipulation des Geldes, eine Geißel, die die Menschheit
seit ihrer Frühgeschichte begleitet. Nur wenige, wie etwa die mittelalterlichen
Gelehrten Jean Buridan de Béthune und Nicolas
d’Oresme, haben die Folgen einer Bereicherung der Machthaber mittels
Geldentwertung erkannt.
Denker der Wiener Schule wie Carl Menger, Ludwig von Mises, Friedrich A.
von Hayek, Murray N. Rothbard und heute J. Guido Hülsmann und Jesús Huerta de
Soto, haben diese Tradition fortgeführt. Eng verbunden mit der Geldtheorie
ist die Konjunkturzyklustheorie, die ebenfalls Ludwig von
Mises ausformuliert
hat. Wesentliche Verbesserungen dieser Theorie leisteten Murray N. Rothbard und J. Guido
Hülsmann. Dieses Verständnis der Konjunkturzyklen ist aktuell von besonderer
Bedeutung. Die wenigsten Ökonomen verstehen heute die Ursachen und Dynamiken
moderner Zyklen.
Wie schon bei der letzten Weltwirtschaftskrise erweisen sich
Ökonomen der Wiener Schule jedoch wiederum geradezu als Propheten – doch sie
blicken in keine wundersame Glaskugel, sondern zeichnen sich durch ein
besonderes tiefes Verständnis dieses Phänomens aus, ein Verständnis, das nicht
besonders populär ist, da es die Ansicht ins Reich der Mythen verweist, dass
Konjunkturzyklen unvermeidbar wären. Tatsächlich sind sie die Folge von
Manipulationen – kein Wunder, dass die Konjunkturzyklustheorie an heutigen,
staatlichen Universitäten kaum noch unterrichtet wird.
Besonderes Verdienst hat sich Ludwig von
Mises noch im Bereich der Unternehmertheorie erworben. Während der Unternehmer
sonst in der Ökonomie praktisch nicht vorkommt, da er nicht in die künstlichen
Gleichgewichtsmodelle passt, spielt er in der
Perspektive der Wiener Schule eine tragende Rolle. Im weiteren Sinne sind wir
alle Unternehmer, denn wir handeln auf eine ungewisse Zukunft hin: all unser
Handeln hat also eine spekulative Seite. Manche Menschen schultern jedoch
wesentlich mehr Ungewissheit als andere. Dies sind die Unternehmer im engeren
Sinne, die auf eigene Verantwortung und eigene Rechnung
knappe Ressourcen einsetzen und
damit auf’s Spiel setzen. Wenn sie die Zukunft besser erahnen als andere, dann
werden sie durch Profite belohnt, wenn sie sich verschätzen, durch Verluste
bestraft.
Ohne den Mut, diese ständigen Wagnisse einzugehen, gäbe es keinen
wirtschaftlichen Fortschritt, kein immer besseres Angleichen der Produktion auf
der Grundlage knapper Mittel an die Ziele der Menschen. Doch Vorsicht: Genau
jenes tiefgehende ökonomische Verständnis der Funktion des Unternehmers erlaubt
es nicht, den Begriff leichtfertig jedermann umzuhängen, der Betriebe führt oder Maschinen einsetzt. Die Funktion, die den wahren
Unternehmer auszeichnet, liegt darin, auf eigene Verantwortung das Vermögen der
Menschen zu mehren, höhere Ziele besser und ressourcenschonender zu
erreichen, nicht bloß Mittel als Selbstzweck anzuhäufen.
Friedrich A.
von Hayek
Friedrich
August von Hayek (1899-1992) war der bedeutendste Wiener Schüler von Ludwig von Mises.
1974 sollte er spät den Nobelpreis für Ökonomie erhalten, allerdings darf man
diesen Preis nicht überwerten. Dahinter stehen in der Regel politische Motive.
Als Hayek der Preis verliehen wurde, offenbar zum politischen Ausgleich des gleichzeitigen
Preisträgers Gunnar Myrdal (ein schwedischer Sozialist), hatte er sich längst
von der Ökonomie abgewandt. Als junger Ökonom bewies er sein Talent durch die
weitere Ausarbeitung der Konjunkturzyklustheorie von Ludwig von Mises.
Mit Mises
war er Begründer des Österreichischen Instituts für
Konjunkturforschung, das später zum „Wirtschaftsforschungsinstitut“ wurde. Die Begründer
und deren Ansätze sind heute freilich längt vergessen, das heutige WIFO tappt
konjunkturtheoretisch vollkommen im Dunkeln. Hayek verließ 1931 das immer
wissenschaftsfeindlichere Wien für einen Lehrstuhl an der London School
of Economics, wo er gemeinsam mit Lionel Robbins wirkte, der einst der Wiener Schule
sehr nahe stand – ihr aber später, wie fast alle anderen, den Rücken kehrte.
Hayeks Karriere als Ökonom nahm
ein Ende nach seiner verzweifelten Veröffentlichung von „Road to
Serfdom“ (Weg zur Knechtschaft), einer Warnung vor der Entwicklung zum
Totalitarismus, vor dem auch Länder wie die USA oder Großbritannien nicht
gefeit wären. Nach diesem populären, politischen Werk, das
große Breitenwirkung erlangte, da
es in gekürzter Fassung im Reader’s Digest erschien, war, seiner eigenen
Einschätzung nach, sein Ruf als Ökonom ruiniert. In der Tat ist es natürlich
problematisch, wenn Ökonomen politische Manifeste veröffentlichen – Mises hatte
nach dem flammenden Plädoyer „Liberalismus“
einen ähnlichen Makel. Nun wird
man Wissenschaftlern nicht vorwerfen können, selbst explizite Meinungen zum
Tagesgeschehen zu haben, doch färben politische Irrtümer natürlich auf die
Wissenschaft selbst ab, insbesondere wenn eine Schule auf so wenige Exponenten dezimiert
ist.
Der späte Hayek widmete sich so zunehmend anderen Disziplinen, insbesondere
der Rechtsphilosophie, der Ideengeschichte, der Psychologie und, wie bereits
erwähnt, der politischen Philosophie. Er wurde zum Ideengeber einer Bewegung
liberaler Intellektueller, die versuchte, durch die Popularisierung von „Ideen“
dem etatistischen Zeitgeist entgegenzuwirken. Diese Strategie muss allerdings
als gescheitert gelten. Die verwässerten „liberalen“ Ideen waren entweder als
Feigenblätter für Machtausweitung, Zentralisierung und Klüngelkapitalismus
(Stichwort „Neoliberalismus“) „erfolgreich“ oder sie versiegten vollends in
einer intellektuellen Oberflächlichkeit, für die sowohl Prinzipien als auch
wissenschaftlicher Anspruch zur Nebensache wurden.
Vom Mainstream
zum Nischenprogramm
Ludwig von
Mises und Friedrich A. von Hayek stehen genau am Übergang der
Wiener Schule von einer Gruppe akademisch verankerter, international
respektierter Ökonomen hin zu einem verfolgten Nischenprogramm. Wenn man sich
die Entwicklung der Wiener Schule in Wien ansieht, kann man dieser Trendwende allerdings auch Positives
abgewinnen. Praktisch alle ursprünglichen Wiener Ökonomen, d.h. die Schüler von
Carl Menger und deren Schüler, waren im Staatsdienst untergekommen und sollten
eine führende Rolle bei der Einführung der Kriegswirtschaft spielen. Friedrich von
Wieser etwa leitete das Ministerium für „Öffentliche Arbeiten“. Ein anderer
Schüler Mengers, Viktor Mataja (1857-1934),
wurde erster Sozialminister.
Der
heute bekannteste „Wiener Ökonom“, Joseph Alois Schumpeter (1883-1950),
ein Schüler Böhm-Bawerks, war gar Teil der Verstaatlichungskommission. Wohl ist
er deshalb in Erinnerung geblieben, weil er sein Fähnchen am ehesten nach dem
Wind ausrichtete. Hayeks Schüler an der London School of Economics wandten sich
fast ausnahmslos dem Keynesianismus zu. Selbiges gilt für die in Wien
verbliebene Linie, ausgehend von Hans Mayer (1879-1955),
der sich mit den National-Sozialisten arrangierte – sie endete mit Wilhelm Weber (1916–2005),
ebenfalls Keynesianer. Jene „Wiener“ Ökonomen, die in den
USA Karriere machten,
entfremdeten sich ebenfalls nach und nach dem Mengerschen Programm. Gottfried von
Haberler (1900-1995), bekannt für seine Beiträge zur Handelstheorie, schaffte es
nach Harvard. Fritz Machlup (1902-1983), der wesentliche Beiträge zur Ökonomie des Wissens leistete,
kam nach Princeton, ebenso Oskar Morgenstern (1902-1977),
der einer der Begründer der Spieltheorie ist und 1963 mit Paul F. Lazarsfeld
das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien gründete, das
freilich schon bei seiner Gründung kaum noch etwas mit dem Mengerschen
Forschungsprogramm zu tun hatte.
Die Freiburger
Schule
Stark beeinflusste die Wiener
Schule schließlich die Freiburger Schule Walter Euckens (1891-
1950), der seinerseits von der Phänomenologie Husserls geprägt ist. Diese
Schule sollte dereinst hinter Ludwig Erhards „Sozialer
Marktwirtschaft“ stehen. Auch hier allerdings erweist sich die politische Macht
als jener Filter, der die falschen Schlüsse der Freiburger Schule übertreibt
und ihre richtigeren Ansätze ausblendet. Wie viel Machtausdehnung ließ sich
nicht im Namen der „Ordnungspolitik“ legitimieren, des staatlich zu
„veranstaltenden“ Wettbewerbs. Von der Wiener Schule geprägte Kritiker abseits
der Macht und des akademischen Establishments wie Volkmar
Muthesius und Hans Hellwig erhielten kaum Gehör. In ihrem Kern nahm die Freiburger Schule jedoch
viel Positives auf und entwickelte es weiter.
Als Weggefährte der Freiburger
Schule, selbst stark von Ludwig von Mises geprägt, ist etwa Wilhelm Röpke (1899-1966) zu
nennen: ein prophetischer Analytiker des Zeitgeistes. Erwähnt werden sollte auch der
interessante Umstand, dass Kardinal Joseph Höffner (1906-1987)
und Wilhelm Weber (1925-1983; nicht zu verwechseln mit dem oben genannten Wilhelm Weber)
durch die „Freiburger Schule“ gingen und zu jenen katholischen Denkern zählen,
die die realistische Ökonomie der Scholastik wiederentdeckten. Mises prägte auch Denker wie den
österreichischen Historiker Erik Ritter von Kuehnelt-Leddihn (1909–1999)
und den deutschen Politikwissenschaftler Eric Voegelin (1901-1985),
deren fruchtbare Arbeiten ebenfalls quer zum Zeitgeist stehen.
Auch in
Österreich floss die Wiener Schule nochmals – ähnlich wie in Deutschland – über Umwege und
verwässert in die Politik ein. Reinhard Kamitz (1907-1993),
dem analog zu Erhard das „österreichische Wirtschaftswunder“ zugeschrieben
wird, war von Friedrich A. von Hayek beeinflusst. Doch auch hier
überlebte die Ökonomie nicht den Todeskuss der Macht.
Die Essenz
Ist also die Wiener Schule
tatsächlich in anderen Schulen aufgegangen? Ist sie nicht mehr als eine
historische Episode? Dazu ist zunächst die Essenz der Wiener Schule zu
bestimmen. Wenn man die Denker dieser Tradition vergleicht, findet man einen
lebhaften Diskurs, unterschiedlichste Zugänge und Schlüsse, durchaus auch viel
Widerspruch. So besehen, ist die Wiener Schule keine geschlossene Lehre.
Vielmehr handelt es sich um ein
Forschungsprogramm, das seine besondere Fruchtbarkeit gerade dort zeigt,
wo es sich an vorherrschenden Zugängen reibt. Carl Mengers besondere
Leistung wird dort deutlich, wo er sich vom Hegelianismus der jüngeren
historischen Schule abhebt, wo er – Wissenschaftler durch und durch – sich
vorbehaltlos realen Phänomenen nähert, um diese zu verstehen, nicht bloß zu
beschreiben. Zugleich ist aber auch säkularer Forscher in einem katholischen Umfeld, hat liberale Sympathien,
passt nicht in die Schubladen.
Menger war ein unbequemer Zeitgenosse, manchmal
spricht aus seinen Schriften sogar Wut; wie die meisten anderen Vertreter der
Wiener Schule ist er ein Aristokrat, der so unangepasst ist, dass er den
Adelstitel nicht führt, gar als „Ghostwriter“ ein Pamphlet gegen den Adel
verfasst, der ihm viel zu bequem und träge geworden ist. Ganz ähnlich Ludwig von
Mises: Einer der vielen Widersprüche dieser Person liegt darin, dass Mises in
seinem Auftreten durch und durch aristokratisch ist, und doch ein
antiaristokratischer Liberaler.
Überall dort, wo Vertreter der Wiener Schule Teil des Nomenklatur wurden,
verschwand augenblicklich das Außergewöhnliche ihres Zugangs, werden sie
alsbald ununterscheidbar, sind sie bloß noch namhafte Mainstream-Ökonomen, aber
nicht mehr. Überall dort, wo sie aufgrund ihrer Persönlichkeit, der Wirren der
Geschichte oder ihrer Ideologie außerhalb des Establishments stehen, sind sie
wissenschaftliche Pioniere, von denen die Geistesgeschichte Ihresgleichen
sucht. Angesichts der unglaublichen Breite ihres Denkens, der unterschiedlichen
Aspekte und Zugänge, der Widersprüche findet sich die wesentliche Essenz der
Wiener Schule genau darin: Es handelt sich um ein Forschungsprogramm, das nicht
im Dienste der Macht steht – und wo es in diesen Dienst genommen wird,
entschwindet es sogleich.
Während die Kathedersozialisten der historischen Schule
Machtlegitimierung betreiben, ist Carl Menger keinesfalls
anti-historisch, sondern österreichisch geprägter Realist statt preußischer
Idealist, Wissenschaftler statt Politiker, Theoretiker der Gesellschaft statt
„Pragmatiker“ der Macht. So kontrastiert Menger
„organische“ und „pragmatische“
Institutionen, um die subtile Blasphemie gegen Machtinteressen zu begehen, dass
er die wichtigsten menschlichen Institutionen als „organisch“ versteht, d.h.
weder auf Idee noch Wille eines Führers oder eines mystischen Volksgeistes
zurückführt, sondern allein auf das reale Phänomen menschlichen Handelns.
Böhm-Bawerk wiederum stand wie später Mises im Widerstreit zum
erstarkenden Sozialismus. Wegweisend ist sein Aufsatz Macht oder
ökonomisches Gesetz?, in dem er getreu dem Forschungsprogramm der Wiener Schule die
Erkenntnis der Realität als unbequemes Korrektiv der Macht illustriert. So
gelangt man zum paradoxen Schluss: Wäre in Österreich der Liberalismus nicht
untergegangen, wäre die Wiener Schule tatsächlich nicht mehr als eine Episode
der Wissenschaftsgeschichte. Solange Liberale nicht an der Macht sind,
erscheint ihre Ideologie machtkritisch. Die liberalen Exponenten der Wiener
Schule wie Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek standen daher
im Widerstreit zum Staate und blieben zum Glück entfernt von jeder
Machtposition.
In den USA fanden sie nach der Vertreibung aus Österreich
Aufnahme durch jene Minderheit, die damals dem sozialdemokratischen Faschismus Roosevelts trotzte und daher
liberale Denker stützte. Aus diesem Grunde erfolgte leider in den USA auch eine
Überlagerung der Wiener Schule mit US-amerikanisch geprägter liberaler Ideologie
(„libertarianism“), sodass diese heute kaum noch auseinandergehalten werden. Dies
ist verheerend für die Wahrnehmung in Europa und die Fortführung dieses
Forschungsprogramm, denn Ideologie und Wissenschaft vertragen sich nicht.
Gleichwohl kann Ideologie in einem bestimmten historischen Kontext der
Erkenntnis eine Schutzschicht bieten, indem sie ein Forschungsprogramm vor
Opportunisten und Machthabern tarnt und bewahrt.
Doch die bleibende Bedeutung der
Wiener Schule liegt genau dort, wo sie nicht bloßer Deckmantel für Ideologie
ist, ob neoliberal, altliberal oder interventionistisch, sondern Wissenschaft
im Sinne des tieferen Verständnisses realer Phänomene. Dass der Wissenschaftler in
diesem Sinne oft ausruft „Der Kaiser ist nackt!“ darf dabei nicht als
ideologische Feindschaft gegenüber dem Kaiser (heute dem „Staat“) ausgelegt
werden. Es handelt sich dabei um die nötige Folge jeder kritischen, unabhängigen Mehrung des Wissens,
dass etablierte Glaubenssätze und – meist noch wichtiger, da noch mehr Mut
erfordernd – gleichfalls moderne Irrtümer verworfen werden, wenn sie sich als
falsch erweisen.
Ökonomie als
Sozialwissenschaft
Die Wiener Schule war niemals
bloße Ökonomie, sondern immer ein sozialwissenschaftliches Forschungsprogramm
im weitesten Sinne. So überrascht es nicht, dass Vertreter dieser Tradition
wesentliche Beiträge in den entferntesten Disziplinen leisteten. Besondere
Erwähnung verdient die Auseinandersetzung mit dem Recht, da hier im Laufe des
letzten Jahrhunderts die größte Korrumpierung und der größte
Erkenntnisrückschritt stattfanden. So treten Nachfolger der Wiener Schule heute
als einsame Warner vor dem erdrückenden Rechtspositivismus auf.
Friedrich
August von Hayek entdeckte in seinen rechtsphilosophischen Studien die Vorzüge des
Gewohnheitsrechtes wieder, das mit seiner traditionalen Ausrichtung im
Zeitalter der Aufklärung so sehr unter Druck geraten war. Murray N. Rothbard, Mises’
bedeutendster Schüler in den USA, wiederum fand zurück zur
Naturrechtstradition. Rothbard war zwar auch ein
ausgezeichneter Historiker, der sich große Verdienste beim Ausgraben vergessener Denker
erworben hat, seine politischen Ambitionen und sein Versuch, liberale Ideologie
rationalistisch zu untermauern, führten allerdings auch zu einer eher
ahistorischen Auffassung von „Naturrecht“, die dessen Wirkung auf die engen Kreise
der „libertarians“ beschränkte. Genau jene Aspekte der Wiener Schule, die heute
nicht Teil des Mainstreams sind, gehören zu ihren größten Errungenschaften und sind
damit von besonderem, bleibendem Wert.
Dazu gehört jener
epistemologische Zugang, der jeder Objektivierung und „Messbarkeit“ widersteht,
weil er reale Menschen als freie und verantwortungsfähige Akteure in den Mittelpunkt
rückt. Oder die Unternehmertheorie, insbesondere in ihrer Ausformulierung durch
Ludwig von Mises, die ebenfalls persönliche Verantwortung groß
schreibt und daher Politikern und Managern (im Gegensatz zu Schumpeters
ungenügender, aber – o Wunder! – viel populärerer Fassung) den schönen Titel „Unternehmer“ vorenthält. Von
besonderer Aktualität ist die Konjunkturzyklustheorie, die nicht nur die
derzeitige, sondern auch historische Wirtschaftskrisen korrekt vorhergesehen hat,
allerdings aus verständlichen Gründen unbeliebt ist.
Dieses Forschungsprogramm ist so
alt wie die Menschheit und steht doch erst in seinen Kinderschuhen. Denn Macht
ist eine faustische Verlockung für Intellektuelle; die Produktion von Unsinn
ist ein hervorragendes Beschäftigungsprogramm, die Legitimierung von Macht
schließlich schafft dafür auch die materielle Grundlage.
Die „Wiener Schule“
ist somit eine Episode in jenem ewigen Widerstreit zwischen Illusion und
Realität, zwischen Täuschung und Erkenntnis, zwischen Bequemlichkeit und Verantwortung. Sollte
dereinst dieses Forschungsprogramm wieder seine wahre Bedeutung erfahren, wird
auch der historische Bezug zu Wien nicht mehr von Bedeutung sein, genauso wenig
wie die Betrachtung einer „Schule“; bis dahin erinnert uns die Bezeichnung
daran, in welchen Büchern wir nachschlagen können, um den Faden der Erkenntnis
wieder aufzunehmen.
_________________________
Von Rahim Taghizadegan aus "Die Wiener Schule der Ökonomie. Eine Analyse des Instituts für Wertewirtschaft."
http://www.wertewirtschaft.org/analysen/WienerSchule.pdf
Ralf Flierl, Chefredakteur des Smart Investor, referiert im folgenden Video über die Österreichische Schule und ihre Protagonisten.
_________________________
Von Rahim Taghizadegan aus "Die Wiener Schule der Ökonomie. Eine Analyse des Instituts für Wertewirtschaft."
http://www.wertewirtschaft.org/analysen/WienerSchule.pdf
Ralf Flierl, Chefredakteur des Smart Investor, referiert im folgenden Video über die Österreichische Schule und ihre Protagonisten.
Klicken Sie hier, um zur gesamten Playlist zu gelangen.